"Mein Denken ist jetzt zweigeteilt"

Jungmaklerin Samira Harkat über ihre Work-Life-Mom-Balance

  Lesezeit: 4 Minuten

Ständig am Hustlen oder entspannt am Smartphone? Die Maklerbranche hat den Ruf, dass die Work-Life-Balance dort nicht besonders hoch ist. Jungmaklerin Samira Harkat spricht mit dem Versicherungskammer Maklermanagement über die Arbeits­entlastung durch Digitalisierung und ihre Methoden, Familie und Beruf zu ver­einba­ren. Auch in der Kundenberatung wird die Empfehlung der passenden Kranken­versicherung für den Fall einer psychischen Krankheit für Makler immer relevanter.

FemininFinance-Gründerin Samira Harkat
FemininFinance-Gründerin Samira Harkat

1. Wie schätzen Sie die Work-Life-Balance generell innerhalb der Branche ein?

Der Maklerberuf ist sehr anspruchsvoll, da er ein breites Spektrum an Fähigkeiten erfordert: analytisches Denken, Beratungskompetenz und eine ganzheitliche Perspektive. Zusätzlich muss man immer fachlich state-of-the-art sein. Also sowohl kognitiv als auch zwischenmenschlich eine echte Herausforderung. Zusätzlich tragen wir viel Verantwortung - wir beraten auf das Gelingen von Lebensentscheidungen hin und sichern die kleinen und großen Risiken individuell ab.
Dabei gibt es für mich einen deutlichen Unterschied zwischen dem, was man minimal liefern sollte und dem, was ich wirklich bieten möchte. Dieser Selbstanspruch ist für mich Problem und Lösung in einem: Er erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich nachts nicht schlafen kann, aber wenn ich die Kundin nach meinen Maßstäben gut berate, trage ich die Verantwortung dafür mit Stolz (und kann ruhig schlafen).
Letztlich gibt es für mich nur zwei Wege: Entweder ich entscheide mich dafür, durchgängig zu arbeiten und immer erreichbar zu sein, oder ich setze klare Grenzen und Ziele, an die ich mich konsequent halte. Zum Glück bin ich dem zweiten Weg in den letzten Jahren sehr nahe gekommen!

Samira Harkat, Gründerin FemininFinance


Samira Harkat ist Wirtschaftsinformatikerin und Gründerin von FemininFinance. Als erfahrene Unternehmerin und Finanzexpertin setzt Samira sich dafür ein, Frauen zu ermächtigen, ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. 2024 war sie eine von 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die im Finale auf der DKM im Nachwuchswettbewerb um den Jungmakler Award angetreten waren.
 

2. Welche Chancen und Heraus­forde­rungen für die Work-Life-Balance gibt es aufgrund der steigenden Digitalisierung in der Arbeitswelt?

Unsere Kundinnen sehnen sich nach individueller Beratung mit Fokus auf ihre konkreten Themen, gleichzeitig sollte es auch menschlich passen. Dieser Wunsch lässt sich über regionale Grenzen hinweg digital viel besser erfüllen. Und bietet auf beiden Seiten Vorteile: Die Kundin bekommt die optimale Beratung und die Maklerin kann ihre Zielgruppe sehr fokussiert ansprechen und sich spezialisieren. Das erleichtert grundlegende Prozesse wie die Akquise enorm, verbessert das Zeitmanagement insgesamt und trägt dadurch sehr positiv zur Work-Life-Balance bei. Aber auch hier mache ich ein großes Ausrufezeichen an meine vorherige Aussage: Klare Grenzen und Ziele werden umso wichtiger, wenn die Möglichkeit unabhängig und von überall zu arbeiten nicht in einer riesigen Überforderung enden soll.
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"Die Digitalisierung bietet enorme Chancen - das klassische Maklerbüro, in dem bei einem Kaffee über Finanzen und Versicherungen gesprochen wird, läuft als Konzept langsam ab."
 
Ich beobachte auch, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich digitalen Tools und KI-Lösungen entweder zu skeptisch nähern oder sich total überfrachten. Beides ist nicht hilfreich. Wir sind in unserem Unternehmen sehr offen für technologische Entwicklungen, doch wir hinterfragen konsequent, welchen Mehrwert wir dabei verfolgen. Das große Thema bei der Wahl der Tools ist in unserem Beruf neben dem tatsächlichen Mehrwert auch der Datenschutz. Sind diese Punkte einmal geklärt, bieten Tools große Zeitersparnisse und ganz neuen Spaß an der Arbeit: von der gemeinsamen Terminfindung bis hin zum automatischen Teilen von Informationen. Wir können die Kundin da treffen, wo sie sich wohlfühlt - und das ist meist eben nicht im Email-Postfach.

3. Können Sie Ihre besten Tipps, Tools oder Strategien mit uns teilen, welche Ihre Work-Life-Balance verbessert haben?

Ich plane mein Jahr im Voraus und habe eine grobe Perspektive von mindestens drei Jahren. Urlaub wird in Absprache mit meinem Mann immer fest geblockt, genauso wie Freizeiten für jede Woche - und diese denke ich ganz bewusst nicht als Puffer, sondern als wichtige Termine. Montags und freitags vereinbare ich keine Beratungstermine und widme mich administrativen Aufgaben und dem Erarbeiten meiner Finanzkonzepte. Dadurch schaffe ich mir feste Strukturen, ohne dabei auf Flexibilität verzichten zu müssen.
Zur Organisation nutze ich einen Kalender, der es mir ermöglicht, Ressourcen freizugeben und bei bestimmten Terminen Pufferzeiten automatisch einzuplanen. Die nutze ich beispielsweise für die einheitliche Terminprotokollierung, um Wiederholungen, Sucherei und unnötige Abstimmungen zu vermeiden.
Ich denke, der wichtigste Tipp ist der, die eigenen Prioritäten und ihren Zeitaufwand genau benennen zu können. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen - diesen Satz sollten Selbstständige streichen, denn es gibt immer noch mehr Arbeit. Freizeit und Regeneration sind genauso wichtig wie Arbeit.
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"Ich orientiere mich bei meiner Planung an meinem Zyklus, denn ich kenne mich selbst am besten und weiß, wann ich leistungsfähig bin und wann nicht."
 
Strategische Entscheidungen finden in der ersten Zyklusphase statt, kreative Aufgaben wie Social Media oder Workshops eher in der darauffolgenden Phase, in der meine Energie steigt. Beratungen und Stra­te­gie­besprechungen lege ich idealerweise in meine kommunikativste Zeit, während ich detaillierte Analysen und administrative Aufgaben eher gegen Ende des Zyklus einplane. So arbeite ich mit meinem Körper, nicht gegen ihn.
Sowohl für Frauen als auch für Männer hat sich ein Arbeitsethos etabliert, der vorgaukelt, wir wären unkaputtbar. Sind wir aber nicht.

4. Was ist Ihr Geheimnis, wenn Sie einfach mal abschalten wollen bzw. wie regeln Sie Ihre Abwesenheit z.B. im Urlaub?

Während meiner Abwesenheit setze ich auf ein temporäres Backoffice, automatisierte Antworten und vorbereitete Zugänge, sodass ich im Notfall schnell reagieren und Aufgaben delegieren kann. Außerdem informiere ich meine Kundinnen rechtzeitig über meine Abwesenheit und priorisiere besonders dringende Fälle vorab. Doch auch die beste Planung hebelt das Naturgesetz nicht aus: Schadensmeldungen kommen immer dann, wenn man nicht da ist! (lacht)
Das ist einfach so und gehört zum Beruf dazu. Welche Mel­dung­en man selbst bearbeitet und welche im Backoffice geklärt werden können, kann man vorher aber wunderbar kategorisieren.

5. Wie haben Sie es geschafft, Ihren beruflichen Erfolg als Maklerin mit den Anforderungen des Mutterseins zu vereinbaren?

Kurze Zeit vor und nach der Geburt kamen plötzlich viele Interviewanfragen – das war eine große Heraus­forderung. Mir ist schon während meiner Schwanger­schaft bewusst geworden, dass ich das alles nicht allein schaffen kann und will. Mein Mann ist nicht nur ein Wahnsinnsvater, sondern unterstützt mich in meinen Vorhaben mit aller Kraft. Das funktioniert allerdings nur, weil auch er flexibel arbeitet.
Im Maklerberuf ist das Arbeitsvolumen nicht immer planbar. Es gibt Phasen mit unerwartetem Mehr­aufwand. Trotzdem ist mir Qualität wichtig: Ich möchte meine Kundinnen zum Beispiel mindestens einmal im Jahr hören, spätestens im letzten Quartal, falls noch Anpassungen nötig sind. Ich merke, dass das längst nicht für alle Kolleginnen und Kollegen selbst­verständlich ist. Der langfristige Kontakt und die Check-Ups waren für mich auch in der Schwangerschaft und der Elternzeit ein wichtiger Bestandteil, den ich aus Zeitnot nicht “ausnahmsweise” kürzen wollte. Dabei hat mein Partner sehr viel Zeit für mich freigemacht - ich bin sehr dankbar, dass wir einander nicht vorrechnen, wer wie viel Care Work trägt. Mit gegenseitigem Wohlwollen gleicht es sich immer wieder aus.

6. Sie haben erfolgreich am Jungmakler Award teilgenommen und standen mit Baby auf der Bühne. Wie war das für Sie?

Es war eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich habe mich über Wochen nachts zwischen drei und fünf Uhr aus dem Bett geschlichen, um meine Präsentation auszuarbeiten. Selbst meine Bewerbung zum Jung­makler Award ist kurz vor Mitternacht der Deadline eingegangen — mit drei Nerven­zusam­menbrü­chen und dem liebevollen Auffangen meines Mannes. Als ich dann auf der Bühne stand, hat mein Sohn geweint und ich habe gemerkt, dass alles andere sofort egal ist. Am liebsten hätte ich unterbrochen, um mich um ihn zu kümmern. Eine befreundete Kollegin hat sich meinen Sohn dann geschnappt, ihn abgelenkt und den Raum verlassen. Auf ihrem Weg nach draußen habe ich ihn dann auch schon wieder lachen sehen und konnte entspannt weitermachen.

7. Welchen Rat würden Sie anderen Frauen geben, die ebenfalls versuchen, Beruf und Familie erfolgreich zu kombinieren?

Mit der Geburt deines Kindes geht eine neue Zeitrechnung los. Mache auf keinen Fall den Fehler, dein Zukunfts-Ich als Mutter mit deinem Ich ohne Kind zu verwechseln. Das erste Jahr bist du weich wie ein Keks, der in warme Milch getunkt wurde. All diese Superwoman- und Ich-kann-alles-schaffen-Narrative werden ausgehebelt.

8. Was ist der größte Unterschied in Ihrer Arbeitsweise zwischen der Zeit vor dem Kind und jetzt?

Mein Denken ist jetzt zweigeteilt – ein Teil meines Gehirns ist immer bei meinem Kind. Immer. Das macht eine hundertprozentige Konzentration schwierig. Mütter sind mit ihren Babys so synchronisiert, dass ich eine Teilung zwischen Arbeit und Privatleben mindestens im ersten Jahr für kaum möglich halte. Alles ist ineinander integriert.
Work-Life-Balance Samira
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"Der Vorteil: Ich bin mir den Wert meiner Zeit viel bewusster. Dadurch prokrastiniere ich deutlich weniger als früher und fokussiere mich stärker auf die wesentlichen Aufgaben."
 
Mein Kind ist meine höchste Priorität. Alles, was vorher wichtig war und immer noch ist, ordnet sich unter. Das heißt, der größte Teil des täglichen Lebens ist ein Kompromiss. Daran muss ich mich gewöhnen und es ist schwer. Das schlechte Gewissen ist immer da und ich weiß, dass es sehr vielen Eltern so geht. Ich halte wenig davon, diesen Spagat zu idealisieren.
Mein Partner und ich sind sehr involvierte Eltern. Erst kürzlich haben wir begonnen, unser Kind gelegen­tlich in die Hände unserer Familien­mitglieder zu geben, um einige Momente allein zu haben. Ich weiß, dass andere Eltern das anders handhaben, aber wir wollten es so und haben die Mehrbelastung auf uns genommen.
Beruflich musste ich mir als selbstständige Mutter externe Hilfe einkaufen, um die laufende Betreuung meiner Kundinnen zu gewährleisten. In der Elternzeit, in der alle auf das Geld gucken müssen, habe ich zusätzlich Geld dafür ausgegeben, nicht zu arbeiten. Ich hatte permanent Plan B, C und D im Kopf.
Unser Freundeskreis ist eine große Unterstützung, da dort viel Verständnis für die Herausforderungen der Familiengründung herrscht. Es hilft sehr, dass unser Umfeld uns oft besucht oder in unseren Stadtteil kommt. Das spart uns großen Aufwand und wir sind entspannter. Meine Geschäftspartnerin Susanne Bartels beispielsweise geht seit Monaten bei uns aus und ein, sodass wir ohne endlosen Orga­nisations­aufwand miteinander arbeiten können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Veröffentlicht am 20. März 2025

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